Zum Inhalt springen

Erneut ein Drittel grobe Behandlungsfehler festgestellt

Die Anzahl der festgestellten groben Behandlungsfehler ist weiterhin hoch. Sie haben 2022 mit mehr als 31 Prozent rund ein Drittel aller Fälle ausgemacht, bei denen der Medizinische Dienst Nord eine falsche ärztliche oder pflegefachliche Behandlung feststellen konnte. Das betraf 70 Versicherte in Schleswig-Holstein und Hamburg. Insgesamt ergab die Begutachtung 224 Behandlungsfehler, was einer Quote von 26,4 Prozent aller begutachteten Behandlungsfehler-Vorwürfe entspricht.

Ein typisches Beispiel für einen groben Fehler ist der Fall eines 16-jährigen Patienten: Er war nach einer entgleisten Zuckerkrankheit in ein sogenanntes diabetisches Koma gefallen und musste auf einer Intensivstation behandelt werden. Während des nur viertägigen Aufenthaltes auf der Intensivstation entstanden bei ihm Druckgeschwüre, sogenannte Dekubitus, am Hinterkopf, am linken Ohr und im Gesäßbereich. Die Ursache: Das sowieso schon hohe Risiko für die Entstehung eines Dekubitus, weil der Jugendliche sich nicht eigenständig ausreichend drehen beziehungsweise lagern konnte, also fachlich beschrieben ein „Lagerungswechsel“ fehlte. Hinzu kam, dass die Situation erst verspätetet erkannt, richtig bewertet und angemessen pflegefachlich darauf reagiert wurde. Auch wenn die Druckgeschwüre bei dem jungen Patienten wieder zum Abheilen gebracht werden konnten, hätte das Klinikpersonal dem jungen Patienten diesen Leidensweg ersparen können, wenn sie ihn rechtzeitig richtig gelagert hätten.

Behandlungsfehler bei Unfallchirurgie/orthopädischer OP erstmals auf Platz zwei

Die Pflegefehler lagen mit 36,3 Prozent im Jahr 2022 (20,4 Prozent im Jahr 2021) vor der Gruppe der Behandlungsfehler aus der Unfallchirurgie und bei orthopädischen Operationen. Diese hatten zuvor über Jahre die Statistik angeführt. 2022 lagen sie erstmals mit 17 Prozent aller Fälle auf Platz zwei (25,4 Prozent im Jahr 2021).

Im Detail: geringere Fehlerquote bei etwas weniger Verdachtsfällen

Die 224 Behandlungsfehler (260 im Jahr 2021), die 2022 per Gutachten bestätigt werden konnten, entsprechen 26,4 Prozent aller begutachteten Vorwürfe. Das ist etwas weniger als in den Vorjahren mit 29,0 Prozent im Jahr in 2021 und 27 Prozent im Jahr 2020. Die sogenannten „groben“ Fehler sind aus Sicht der Fachleute nicht nachvollziehbar und verstoßen gegen elementare Grundsätze des Fachgebietes. Sie machen mit 31,3 Prozent und 70 Fällen rund ein Drittel aller 224 festgestellten Behandlungsfehler aus (80 Fälle, entsprechend 30,8 Prozent im Jahr 2021).

Die Behandlungsfehler-Quote des Medizinischen Dienstes Nord von 26,4 Prozent kommt wie folgt zustande: Gutachterinnen und Gutachter prüfen zuerst, ob ein angezeigter Verdacht auch aus medizinischer Sicht stichhaltig ist, bevor ein Fall ausführlich begutachtet wird. So konnten die Gutachterinnen und Gutachter aus den 2.642 Verdachtsfällen (3.073 im Jahr 2021), die Versicherte über ihre Krankenkasse gemeldet hatten, 850 (898 im Jahr 2021) Behandlungsfehler-Vorwürfe zur Begutachtung herausfiltern.

Nach den beschriebenen Pflegefehlern und den Behandlungsfehlern aus Unfallchirurgie/orthopädischen Operationen folgen: mit 8,5 Prozent die Zahnheilkunde (11,2 Prozent im Jahr 2021) und die Frauenheilkunde mit 6,3 Prozent (7,7 Prozent im Jahr 2021) an vierter Stelle.

Den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Fehler und dem Schaden für die Versicherten konnten die Gutachterinnen und Gutachter in 88,5 Prozent (91,0 Prozent im Jahr 2021) der Fälle feststellen. Weitere fehlerbedingte medizinische Behandlungen waren in 200 Fällen (234 im Jahr 2021) gleich 89,3 Prozent notwendig (90,0 Prozent im Jahr 2021).

„Diese Zahlen zeigen erneut, wie wichtig es ist, dass gesetzlich Krankenversicherte das Recht auf eine unabhängige und für sie kostenfreie Prüfung vermuteter Behandlungsfehler durch den Medizinischen Dienst haben“, betont Fachbereichsleiter PD Dr. Dimitrios Psathakis.

Wie Behandlungsfehler geprüft werden

Für die Feststellung eines Behandlungsfehlers prüfen die Gutachterinnen und Gutachter in jedem Einzelfall, ob die Behandlung nach „anerkanntem medizinischen Standard“ ausgeführt worden ist. Nur wenn die Behandlung nicht gemäß dem Standard erfolgte, haben die Versicherten eine Chance, dass Schadenersatz-Forderungen anerkannt werden.

Die fachlich unabhängig erstellten Gutachten des Medizinischen Dienstes stehen den Krankenkassen und den Versicherten zur Verfügung. Die Erfahrung zeigt, dass sich in der überwiegenden Zahl aller Fälle die Behandler und deren Haftpflichtversicherer anschließend mit den Versicherten und den Krankenkassen außergerichtlich einigen und einen Vergleich anstreben. Die Grundlage dafür ist das Gutachten des Medizinischen Dienstes.

--------------------------------------------------------------------------------------

Hinweis für Versicherte, die einen Behandlungsfehler vermuten:

Versicherte können sich nach Paragraf 66 des fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) bei ihrer Krankenkasse melden, wenn sie einen Behandlungsfehler vermuten. Die Krankenkassen sollen den gesetzlichen Bestimmungen folgend, die Versicherten bei der Prüfung unterstützen.

Wichtig für die Gutachterinnen und Gutachter des Medizinischen Dienstes ist, dass vom Patienten bestimmte Unterlagen vorgelegt werden. Dazu gehört ein Gedächtnisprotokoll, also eine Art Tagebuch über den Behandlungsverlauf: Patientinnen und Patienten sollten beschreiben, was, wann, wo passiert ist und von welchen Maßnahmen sie glauben, dass sie die Ursache für einen vermuteten (behandlungsfehlerbedingten) Gesundheitsschaden sein können. Außerdem sind – soweit schon vorhanden – Kopien von ärztlichen, zahnärztlichen beziehungsweise pflegefachlichen Unterlagen hilfreich, die den Behandlungsverlauf wiedergeben. Hierzu zählen zum Beispiel Arztbriefe und Entlassungsberichte, die in der Regel der Hausarzt erhalten hat. Reichen die vorgelegten medizinischen Informationen nicht aus, werden in einer ersten sichtenden Stellungnahme Hinweise zu den für die medizinische Beurteilung noch notwendigen Unterlagen gegeben. Das alles brauchen die Gutachterinnen und Gutachter des Medizinischen Dienstes für eine sorgfältige, sachgerechte Prüfung.

 >>Diese Pressemitteilung als PDF

 

Pressekontakt:
Jan Gömer, Pressesprecher
Telefon 040 25169-1163
Mobil 0151 65429713
jan.goemer(at)md-nord.de
https://md-nord.de

 

Zurück